Nach fast 3 Monaten im Homeoffice hat sich herausgestellt: Die Arbeit von zuhause ist doch eigentlich ganz einfach! Es wird über Collaboration- & Chat-Tools wie Slack, Microsoft Teams & Whereby kommuniziert und die Arbeit im Team mit JIRA oder Trello visualisiert. Eine erste Routine hat sich im Team gefestigt und die Arbeit scheint wieder im Flow zu sein. Wären da nur nicht diese kleinen Stolpersteine, die sich trotz der besten Tools & Teamvereinbarungen bemerkbar machen:
1. Der Dev-Kollege scheint jedes Mal nach dem Daily für den Rest des Tages verschwunden zu sein 🤔
2. Die Brötchenkrümel vom Frühstück stören beim Tippen 🥐
3. Der Product Owner ist nervös, er sieht keine Fortschritte mehr bis zum Sprintwechsel 😳
4. Seit Tagen gibt es ein riesiges Impediment, von dem keiner etwas wusste 🚧 Was nun?
Der Scrummaster als Fernbeziehungscoach
Erfolgreiche Remote-Teams brauchen mehr als ein perfektes Software- & Hardware-Setup. Blickt man vom der reinen Tooling- zur Beziehungsebene, wird schnell klar, dass Vertrauen, Transparenz & Kommunikation die wichtigsten Komponenten für eine langlebige Remote-Kultur sind.
Aber wer setzt sich dafür ein, dass diese Werte auch langfristig aufgebaut & gelebt und die neuen Remote-Prozesse eingehalten & weiterentwickelt werden?
Remote-Teams & Prozesse brauchen einen festen Rahmen und eine Person, die alles im Blick hat und gezielt Impulse gibt. Das kann oftmals der Scrummaster als Servant Leader des Entwicklungsteams übernehmen.
Wie baut man eine langfristige Remote-Kultur auf?
Die Phasen der Teamentwicklung nach Tuckman
Die Entwicklung der Remote-Kultur im Team oder innerhalb einer Organisation lässt sich mit dem Phasenmodell der Teamentwicklung von Bruce Tuckman vergleichen. Es beschreibt, dass ein Entwicklungsteam in seiner Lebensdauer vier Phasen & Reifegrade durchläuft (Forming, Storming, Norming & Performing), die von verschiedenen Kommunikations-, Konflikt- & Feedbackmustern begleitet werden.
Beobachtung: Der Aufbau einer Remote-Kultur ähnelt den Phasen des Tuckman-Models
Als Scrummaster habe ich bei meinen Coaching-Teams auf dem Weg zur erfolgreichen Remote-Zusammenarbeit eine ähnliche Reifegrad-Entwicklung feststellen können. Ein Team, das bisher gemeinsam an einem physischen Ort gearbeitet hat und nun den Remote-Weg einschlägt, durchläuft ähnliche Lernphasen von der Remote-Pubertät bis zum Erwachsenwerden. Genauso verhält es sich mit einem über mehrere Zeitzonen verteilten Remote-Team, dessen Teammitglieder vorher noch nie miteinander gearbeitet haben.
Wie kann der Scrummaster unterstützen?
Als Servant-Leader kann der Scrummaster das Team in der neuen Remote-Umgebung begleiten und gezielte Impulse setzen. Die passenden Maßnahmen habe ich für alle Agile Coaches & Scrummaster zusammengefasst. Viel Spaß beim Ausprobieren!
Forming - der Scrummaster als starker Berater, Richtungsweisender & Aktivator:
* Hier ist vor allem Beziehungsarbeit gefragt, um Vertrauen aufzubauen
* Fokus: Vertrauen, Kommunikation & Transparenz als wichtigste Remote-Werte etablieren & fördern
* Maßnahmen: Technology & Toolset aufsetzen & konfigurieren, Experimente durchführen & dokumentieren, einen festen Remote-Rahmen zur Orientierung definieren (Video-Meetings, asynchrone Checkins), Remote-Meeting-Etikette aufstellen (Kamera an, Profilfoto in Slack hochladen), Bedürfnisse & Erwartungen im Team, beim Product Owner & den Stakeholdern abfragen
Storming - der Scrummaster als Mediator & Berater:
* Stärkere, fachliche Orientierung (Aufgabenklärung)
* Fokus: Lösen von Status-, Rollen- & Aufgaben-Konflikten, Teamziel
* Herausforderungen: Distanz, kulturelle Unterschiede & fachliche Gespräche in fremder Sprache meistern (Englisch ist nicht gleich Englisch)
* Maßnahmen: Dem Team helfen Konflikte offen zu adressieren & zu lösen, aktive Kommunikation coachen & offline-Kommunikationsmuster auflösen, Verbindlichkeiten schaffen, Schwachpunkte & Remote-Impediments identifizieren, dem Produkt Owner dabei helfen, den Arbeitsauftrag & die Produktvision klar zu formulieren
Norming - der Scrummaster als "Wächter" der gelernten Remote-Prozesse:
* Fokus: Schutz & regelmäßige Praxis der neugelernten, erfolgreichen Remote-Prozesse & -Kultur
* Dokumentation des gemeinsamen Verständnis der Remote-Kultur, -Tools & Absprachen als Remote Manifesto
* Feedback einsammeln zu bisherigen Arbeits- & Kommunikationsprozessen und mit initalien Bedürfnissen abgleichen - passt unser aktueller Remote-Prozess & Setup? Was können wir optimieren?
* Maßnahmen: Durchführung von regelmäßigen Retrospektiven, 1on1s, Stakeholder- & Product Owner-Gespräche, Hilfe für neue Mitarbeiter beim Remote-Onboarding
Perfoming - Der Scrummaster sichert die Weiterentwicklung der Remote-Kultur
* Fokus: Weiterentwicklung & Festigung der Remote-Kultur über das Team hinaus ins Unternehmen
* Maßnahmen: Fortführung der Experiment-Kultur, regt das Team zum regelmäßigen Hinterfragen der aktuellen Remote-Prozesse & -Tools an (Inspect & Adapt)
Mein Learning: Eine gute Remote-Zusammenarbeit & -Kultur entsteht nicht über Nacht, sondern entwickelt sich iterativ durch das Durchführen vieler Experimente im Team, viel Mut & Pioniergeist beim Team um Unbekanntes auszuprobieren und Vertrauen vom Management & den Stakeholdern.